INHALT:
Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Meinungsfreiheit in
einem Konflikt "Lehrer gegen Eltern". Aufschlußreich sind
u.a. Absatz 21 und Absatz 22.
Entscheidungen
Copyright © 2007 BVerfG, Zitierung: BVerfG, l BvR 755/99 vom 17.12.2002, Absatz-Nr.
(l - 42), http://www.bvverfg.de/entscheidungen/rk20021217_1bvr075599.html
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des Gerichts.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- l BvR 755/99 -
- l BvR 756/99 -
Im
Namen des Volkes
In dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerden
1. des Herrn W...,
2. der Frau W...,
3. des Herrn J..„ -
Bevollmächtigter: Professor Dr. Helmut Goerlich, Lehmbuchenweg 14, 72525 Mimsingen
-
- l BvR 755/99 -,
4. der Frau M..„ - Bevollmächtigter: Rechtsanwalt Stefan M. Beck, Große
Straße 4, 24937 Flensburg -
5. des Herrn M... - Bevollmächtigte: Rechtsanwälte Dr. Hans Müller
und Koll.,
Südermarkt 9,24937 Flensburg -
- l BvR 756/99 -
gegen den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 30. März 1999 - VI ZR
a)
339/98 -
b) das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts vom 9.Oktober
1998 - l U 86/95 -
c) das Schlussurteil des Landgerichts Flensburg vom 4. April 1995 -
2 041/93 -
d) das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts vom 3.Februar
1995 - l U 116/93 - (Beschwerdeführer zu 4 und 5),
e) das Teilurteil des Landgerichts Flensburg vom l. Juni 1993 - 2 041/93
- (Beschwerdeführer zu 4 und 5)
hat die l. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Präsidenten Papier
und die Richter Steiner,
Hoffmann-Riem gemäß
§ 93 bin Verbindung mit § 93 a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom
II. August 1993 (BGB1 I S. 1473) am 17. Dezember 2002 einstimmig beschlossen:
Die
Verfahren l BvR 755/99 und l BvR 756/99 werden zur gemeinsamen Entscheidung
miteinander verbunden.
Das Schlussurteil des Landgerichts Flensburg vom 4. April 1995 - 2 0 41/93
-, das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts vom 9. Oktober
1998 - l U 86/95 - und der Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 30. März 1999
- VI ZR 339/98 - verletzen die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht aus
Artikel 5 Absatz l Satz l des Grundgesetzes.
Die Entscheidungen werden aufgehoben. Die Sache wird an das Oberlandesgericht
zurückverwiesen.
Den Beschwerdeführern sind die notwendigen Auslagen von der Bundesrepublik
Deutschland zu erstatten.
Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 80.000 Euro festgesetzt.
Gründe:
I.
1
Die Beschwerdeführer der verbundenen Verfahren wenden sich im Wesentlichen
gegen gerichtliche Entscheidungen, durch die sie wegen der Weitergabe von
Informationen an die Presse zum Ersatz des Schadens verurteilt worden sind,
den die von der Information betroffene Person erlitten hat.
2
1 . Der Kläger des Ausgangsverfahrens ist Lehrer.
Die Beschwerdeführer trugen die erzieherische Verantwortung für Kinder des
vierten Schuljahrgangs, die von ihm unterrichtet wurden. Die Beschwerdeführerin
zu 2 nahm darüber hinaus das Amt der Elternsprecherin wahr.
3
Von mehreren Eltern wurde intensive Kritik am pädagogischen Verhalten des
Klägers geäußert und seine Versetzung in eine andere Schule gefordert. Die
Kritik entzündete sich am Vorwurf ausländerfeindlicher Äußerungen und rüden
Vorgehens gegen Schüler. Verschiedene Rücksprachen und ein Elternabend verliefen
ohne Ergebnis. Am 2. Oktober 1991 erschien über die Auseinandersetzung in
der dänischsprachigen Zeitung "Flensborg Avis", die sich an die in Flensburg
lebende dänische Bevölkerungsminderheit wendet, ein Artikel, in dem von der
angeblichen Schikane eines Lehrers gegen einen türkischen Schüler, veralteten
Unterrichtsmethoden und der Aufforderung zum Fremdenhass die Rede ist. Die
Schule, die Beschwerdeführerin zu 4. und der Schulleiter, nicht aber der Kläger,
sind namentlich genannt. Eine deutsche Übersetzung des Artikels wurde in der
Schule am schwarzen Brett ausgehängt.
4
Am 4. Oktober beauftragten die Beschwerdeführer sowie weitere Eltern einen
Rechtsanwalt. Dieser wandte sich unter dem selben Datum mit einem ausführlichen
Beschwerdeschreiben an den zuständigen Schulrat. Darin heißt es einleitend
wörtlich:
5
"Herr H. (= der Kläger) zeichnet sich dadurch aus, dass er rassistisches Gedankengut
verbreitet, gekoppelt mit Ausländerhass gegenüber Türken, dass er die Kinder
ohne Einwilligung der Eltern körperlich angreift und dass er als Pädagoge
nicht in der Lage ist, die Klasse ordnungsgemäß zu führen."
6
Im Anschluss daran werden auf mehreren Seiten detailliert verschiedene Verhaltensweisen
und Äußerungen des Klägers geschildert, aus denen diese Vorwürfe sich herleiten
sollen.
7
Am 5. Oktober folgte in der dänischsprachigen Zeitung "Flensborg Avis" ein
weiterer Artikel, der bereits eine durch einen Anwalt eingereichte schriftliche
Beschwerde erwähnt. Ein dänischsprachiger Rundfunksender griff das Thema ebenfalls
auf. In einem Schreiben vom 7. Oktober unterrichtete der Schulleiter die Eltern
darüber, dass der vom Kläger erteilte Unterricht ab sofort von zwei anderen
Lehrern übernommen werde. Eine Versetzung des Lehrers an eine andere Schule
mit weniger ausländischen Schülern erfolgte nicht. Unter dem 10. Oktober beantwortete
der Schulrat das Anwaltsschreiben. Er räumte ein, dass der Kläger "in mancher
Erziehungssituation unangemessen und überzogen reagiert" habe, wies aber die
Vorwürfe im Wesentlichen als unberechtigt zurück.
8
Nach den tatbestandlichen Feststellungen des Urteils zu b) gelangten die Schreiben
vom 4. und 7. Oktober 1991 sowie ein Schreiben vom 17. Oktober - damit ist
offenbar die Antwort des Schulrats vom 10. Oktober 1991 gemeint - im Einvernehmen
aller Beschwerdeführer und weiterer Eltern an die Redaktion des Anzeigenblattes
"Moin-Moin". Dort erschien daraufhin am 17. Oktober unter der Überschrift
"Eltern setzen Lehrer matt" ein Bericht über die streitigen Vorfälle. Der
Artikel besteht zum überwiegenden Teil aus einerjournalistisch aufbereiteten
Wiedergabe der im Anwaltsschreiben enthaltenen Vorwürfe und der Mitteilung
des Schulleiters. Der Name der Schule wird genannt; derjenige des Klägers
ist mit dem Anfangsbuchstaben abgekürzt. Unter der gesonderten Überschrift
"Schulrat bezieht Stellung" wird unmittelbar daneben das Schreiben vom 10.
Oktober 1991 auszugsweise wiedergegeben. In der Folgezeit kam es zu weiteren,
dem Kläger vorwiegend günstigen Veröffentlichungen über die Angelegenheit.
9
Einige Wochen nach den ersten Berichten erkrankte der Kläger. Er ist auf seinen
Antrag hin gemäß Bescheid vom 2. Juli 1992 wegen dauernder, psychisch bedingter
Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt worden.
10
2. Der Kläger nahm die Beschwerdeführer mit der Klage aufwiderruf, Zahlung
von Schmerzensgeld und materiellem Schadensersatz sowie auf die Feststellung
in Anspruch, dass sie verpflichtet seien, ihm den durch Versetzung in den
einstweiligen Ruhestand entstandenen und künftig entstehenden Einkommensausfallschaden
zu ersetzen. Er behauptete, seine zur Dienstunfähigkeit führende Erkrankung
sei auf die gegen ihn erhobenen, schweren und unberechtigten Vorwürfe und
insbesondere auf die negativen Presseberichte zurückzuführen. Mit dem Urteil
zu d) wurden die Beschwerdeführer verurteilt, die Äußerung zu unterlassen,
der Kläger verbreite rassistisches Gedankengut, gekoppelt mit Ausländerhass
gegen Türken, und er greife Kinder ohne Einwilligung der Eltern körperlich
an. Das Oberlandesgericht sah in diesen Äußerungen eine Schmähkritik.
11
Im Schlussurteil zu c) verurteilte das Landgericht die Beschwerdeführer nach
§ 823 Abs. l BGB zur Zahlung von Schadensersatz und Schmerzensgeld und erließ
den beantragten Feststellungstenor. Das Oberlandesgericht wies die Berufung
der Beschwerdeführer im Urteil zu b) unter geringen Abänderungen zurück. Zur
Begründung heißt es, die Beschwerdeführer hätten das Persönlichkeitsrecht
des Klägers in nicht gerechtfertigter Weise verletzt, indem sie das Anwaltsschreiben
vom 4. Oktober 1991 an die Presse weitergaben und damit die darin enthaltenen
ehrverletzenden Äußerungen an die Öffentlichkeit gelangen ließen. Sie hätten
zudem schuldhaft gehandelt; gerade im Hinblick darauf, dass der Kläger bereits
vor Weitergabe des Schreibens von seinen Unterrichtsverpflichtungen in der
Klasse der Kinder der Beschwerdeführer entbunden war, habe für sie Veranlassung
bestanden, die Berechtigung ihrer Vorgehensweise in besonderem Maße zu prüfen.
Die Dienstunfähigkeit des Klägers sei nach sachverständiger Feststellung durch
die Presseveroffentlichungen herbeigeführt worden; diese Folge sei für die
Beschwerdeführer vorhersehbar gewesen. Die Revision wurde vom Bundesgerichtshof
durch den Beschluss zu a) nicht angenommen.
12
3. Mit der Verfassungsbeschwerde rügen die Beschwerdeführer eine Verletzung
ihrer Grundrechte aus Art. 5 Abs. l Satz l und aus Art. 14 Abs. l Satz l GG.
Der Kläger hatte Gelegenheit zur Stellungnahme.
II.
13
Die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführer zu 4 und 5 wird insoweit nicht
zur Entscheidung angenommen, als sie gegen das Teilurteil zu e) und gegen
das Urteil zu d) gerichtet ist. Sie hat in diesem Umfang keine Aussicht auf
Erfolg, weil sie nicht innerhalb der Monatsfrist des
§ 93 Abs. l Satz l BVerfGG eingelegt wurde.
III.
14
Im Übrigen liegen die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung
vor. Das Bundesverfassungsgericht hat die für eine Beurteilung der Verfassungsbeschwerde
maßgeblichen Rechtsfragen zur Reichweite von Art. 5 Abs. l Satz l GG bereits
geklärt (vgl. BVerfGE 85, l <14>; 90, 241 <247 ff.>; 93, 266 <294>; 94, l
<8 f..>; 97, 125 <148 ff.>; 97, 391 <398, 403 f.>; 99, 185 <196 f.>). Nach
den in diesen Entscheidungen aufgestellten Grundsätzen ist die Verfassungsbeschwerde
offensichtlich begründet.
15
l. Die vom Oberlandesgericht als Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des
Klägers angesehene Weitergabe des Anwaltsschreibens vom 4. Oktober 1991 an
die Zeitung fällt in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit aus
Art. 5 Abs. l Satz l GG. Der Schutzbereich dieses Grundrechts betrifft Werturteile,
erstreckt sich aber auch auf die Äußerung von Tatsachen, soweit sie Dritten
zur Meinungsbildung dienen können (vgl. BVerfGE 90,241 <247 f.>).
16
a) Das Oberlandesgericht wertet im Urteil zu b) unter Bezugnahme auf seine
Ausführungen in dem früheren Urteil zu d) die im Anwaltsschreiben enthaltenen
einleitenden Sätze (siehe oben I l) als Werturteile und nur die sich daran
anschließenden Schilderungen als Tatsachen.
17
aa) Soweit die Beschwerdeführer Tatsachen verbreitet haben, fallen diese in
den Schutzbereich der Grundrechtsnorm; denn sie sind darauf gerichtet, dem
Leser ein eigenes Urteil über das geschilderte Verhalten zu ermöglichen. Dies
gilt ohne weiteres für die in dem Anwaltsschreiben zum Beleg der zusammenfassenden
Vorwürfe angeführten Einzelheiten, die jedoch nicht zur Grundlage der Verurteilung
geworden sind.
18
Die einleitenden Aussagen des Schreibens ordnet das Oberlandesgericht als
Werturteile ein. Es handele sich um eine vorangestellte zusammenfassende Wertung
dessen, was auf den folgenden vier Seiten im Einzelnen über den Kläger an
Tatsachenbehauptungen mitgeteilt werde und was die Eltern nahezu ausschließlich
von ihren Kindern erfahren hätten. Diese Einordnung entspricht nur teilweise
den verfassungsrechtlichen Vorgaben des Art. 5 Abs. l Satz l GG.
19
Die zusammenfassenden Aussagen, der Kläger verbreite rassistisches Gedankengut,
gekoppelt mit Ausländerhass gegenüber Türken, und die weitere Aussage, er
greife Kinder ohne Einwilligung der Eltern an, enthalten neben wertenden Bestandteilen
einen eigenständigen Tatsachengehalt und sind insoweit dem Beweis zugänglich.
Ihren Tatsachencharakter ergibt insbesondere der Kontext der weiteren Ausführungen:
Die Einleitungssätze sind eine zusammenfassende Wiedergabe der tatsächlichen
Einzelbefunde. Dass diese auf Äußerungen Dritter beruhen, ändert nichts an
dem Tatsachengehalt.
20
Die Tatsachenwiedergabe ist allerdings mit einer Bewertung des Verhaltens
verknüpft, so die Einordnung der Äußerungen des Lehrers als rassistisch und
die Folgerung, er sei nicht in der Lage, die Klasse ordnungsgemäß zu fuhren.
Diese Bewertungen sind von dem Tatsachenkern abtrennbar und daher eigenständiger
Würdigung zugänglich.
21
bb) Die Einordnung einer Äußerung als Werturteil oder als Tatsachenbehauptung
ist für die rechtliche Beurteilung von Eingriffen in das Grundrecht auf Meinungsfreiheit
von weichenstellender Bedeutung (vgl. BVerfGE 61, l <7 f.>; 99, 185 <196 f.>;
stRspr). Führt eine Tatsachenbehauptung zu einer Rechtsverletzung, hängt die
rechtliche Bewertung vom Wahrheitsgehalt der Äußerung ab (vgl. BVerfGE 97,
391 <403 f.>; 99, 185 <201». Bewusst unwahre Tatsachenäußerungen genießen
den Grundrechtsschutz überhaupt nicht (vgl. BVerfGE 54, 208 <219>). Ist die
Wahrheit nicht erwiesen, wird die Rechtmäßigkeit der Beeinträchtigung eines
anderen Rechtsguts davon beeinflusst, ob besondere Anforderungen, etwa an
die Sorgfalt der Recherche, beachtet worden sind. Werturteile sind demgegenüber
keinem Wahrheitsbeweis zugänglich. Sie sind grundsätzlich frei und können
nur unter besonderen Umständen beschränkt werden, so wenn sie sich als Schmähkritik
darstellen
(vgl. BVerfGE 85, l <16 f.>). (
zurück >)
22
b) Diese Grundsätze gelten ebenfalls für die Beurteilung des auf das Anwaltsschreiben
gestützten Zeitungsartikels, dessen Veranlassung den Beschwerdeführern vom
Oberlandesgericht zugerechnet wird. Die Veranlassung einer Presseveroffentlichung
unterliegt dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. l Satz l GG. Diese Norm schützt
Äußerungen in ihrer Verbreitungs- und in ihrer Wirkungsdimension (vgl. BVerfGE
7, 198 <210>; 97,391 <398». Vom Schutz umfasst ist das Recht des Äußernden,
die Modalitäten einer Äußerung und damit das Verbreitungsmedium frei zu bestimmen
(vgl. BVerfGE 54, 129 <138 f.>; 93,266 <289>; 3. Kammer des Ersten Senats,
NJW 1991, S. 2339 f.). (
zurück >)
23
2. Das Oberlandesgericht hat bei der Anwendung des § 823 Abs. l BGB Bedeutung
und Tragweite des Grundrechts auf Meinungsfreiheit verkannt. Es hat die Äußerungen
zu Unrecht als Schmähkritik eingeordnet und deshalb unzutreffende verfassungsrechtliche
Maßstäbe angelegt und insbesondere die gebotene Abwägung nicht vorgenommen.
24
a) Das Grundrecht aus Art. 5 Abs. l Satz l GG unterliegt gesetzlichen Schranken,
Art. 5 Abs. 2 GG. Zu diesen gehört § 823 Abs. l BGB (vgl. BVerfGE 82, 272
<280>; 97, 125 <148». Auslegung und Anwendung von Vorschriften des einfachen
Rechts sind grundsätzlich Angelegenheit der Fachgerichte, die dabei das Grundrecht
der Meinungsfreiheit zu berücksichtigen haben (vgl. BVerfGE 7, 198 <205 ff.
>; 101, 361 <388>; stRspr). Ein Grundrechtsverstoß, den das Bundesverfassungsgericht
zu korrigieren hat, liegt insbesondere dann vor, wenn das Zivilgericht den
grundrechtlichen Einfluss bei der Deutung der Äußerung, bei ihrer rechtlichen
Einordnung oder bei der Herstellung des Ausgleichs zwischen den Rechtsgütern
überhaupt nicht berücksichtigt oder unzutreffend eingeschätzt hat und die
Entscheidung auf der Verkennung des Grundrechtseinflusses beruht (vgl. BVerfGE
97, 391 <401>).
25
b) Das Oberlandesgericht hat in dem Urteil zu b) zu der rechtlichen Einordnung
des Schreibens und seiner Weitergabe an die Zeitung ausschließlich auf seine
Ausführungen in dem Urteil zu d) verwiesen. Der einzige in diesem Urteil substantiiert
abgehandelte Gesichtspunkt der Schmähkritik greif t jedoch nicht durch.
26
aa) Das Gericht stützt seine Verurteilung ausschließlich auf die einleitenden
Sätze des Anwaltsschreibens. Die in dem Schreiben zur Begründung geschilderten
tatsächlichen Vorfälle, die zu einem erheblichen Teil in der Presseveröffentlichung
wiedergegeben waren, lässt es außer Betracht. Soweit die einleitenden Sätze
die Vorwürfe gegen den Lehrer im Tatsächlichen zusammenfassend wiedergeben,
können sie nicht der Kategorie der Schmähkritik zugeordnet werden, die ausschließlich
bei Wertungen anwendbar ist. Nur die wertenden Folgerungen sind als Meinungsäußerungen
einzuordnen.
27
bb) Die Einordnung dieser wertenden Äußerungen als Schmähkritik ist unzutreffend.
Der Begriff der Schmähung wird in der zivil- und verfassungsgerichtlichen
Rechtsprechung mit Rücksicht auf das Grundrecht der Meinungsäußerung eng verstanden.
Wertungen sind grundsätzlich frei von Bindungen. Auch eine überzogene, polemische
oder gar ausfällige Kritik, reicht für sich genommen nicht aus, um eine Beschränkung
zu rechtfertigen. Anders liegt es aber, wenn bei der Äußerung nicht mehr die
Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund
steht
(vgl. BGHZ 45, 296 <306 ff.>; BVerföE 93, 266 <294, 303>.
28
Diese Voraussetzung erfüllt das Anwaltsschreiben nicht. Das sachliche Anliegen,
die beanstandeten Verhaltensweisen des Klägers gegenüber den betroffenen Schulkindern
zu beenden, stand nach dem Inhalt des Schreibens und der daraus erkennbar
werdenden Intention im Vordergrund und war mit Tatsachenaussagen untermauert.
Um die Durchsetzung ihres Anliegens zu verstärken, schalteten die Beschwerdeführer
nach ergebnislosen schulinternen Bemühungen einen Anwalt ein. Darauf reagierte
der Schulleiter, der den Beschwerdeführern teilweise Recht gab und ihr Anliegen
ansatzweise erfüllte, nämlich durch Entfernung des Lehrers aus der Klasse.
Das Anwaltsschreiben war auch in seinen Formulierungen von einer die Ebene
der sachlichen Auseinandersetzung verlassenden reinen Diffamierung deutlich
abgehoben.
29
cc) Das Gericht hat nichts dazu ausgeführt, dass ein eigenständiger Schmähcharakter
in dem durch die Übermittlung veranlassten Zeitungsbericht lag. Im Übrigen
hat es in seinem in Bezug genommenen Urteil zu d) ausschließlich auf das Anwaltsschreiben
abgestellt und die Beschwerdeführer ausdrücklich nicht für den Zeitungsartikel
und die in ihm enthaltene "veränderte und verschärfte Akzentuierung" verantwortlich
gemacht. Hätte es von dieser Einschätzung in seinem Urteil zu b) abweichen
wollen, hätte es darlegen müssen, warum die Beschwerdeführer sich eine in
der Verantwortung der Zeitung liegende, durch deren Grundrecht geschützte
publizistische Aufmachung als eigene Schmähkritik zurechnen lassen müssten.
Auch hätte ausgeführt werden müssen, worin der besondere Schmähcharakter der
Zeitungsveröffentlichung zu sehen war. Diese wiederholte im Wesentlichen die
tatsächlichen Angaben zu den Vorfällen, druckte erhebliche Teile des Schreibens
des Schulleiters ab und berichtete über den Standpunkt des Schulrats.
30
dd) Das Oberlandesgericht ordnet den Beschwerdeführern zusätzlich und eher
beiläufig - nämlich im Rahmen von Kausalitätserwägungen - die Veröffentlichung
in dem dänischen Anzeigenblatt "Flensborg Avis" zu. Auch insofern hat es nichts
zu dem Schmähcharakter dargetan, ganz abgesehen davon, dass das Urteil keine
Aussage dazu trifft, wieso die Beschwerdeführer für diese Veröffentlichung,
soweit sie ihnen überhaupt in tatsächlicher Hinsicht zuzurechnen ist, unter
Berücksichtigung des Schutzgehalts von Art. 5 Abs. l Satz l GG rechtlich einzustehen
haben.
31
c) Wird eine Äußerung fälschlich als Wertung eingeordnet und dann als Schmähung
angesehen, mit der Folge, dass eine Aufklärung der Wahrheit der zu Grunde
gelegten Tatsachen und eine konkrete Abwägung unter Berücksichtigung aller
Umstände des Einzelfalls unterbleiben, liegt darin ein verfassungsrechtlich
erheblicher Fehler (vgl. BVerfGE 82, 272 <281>; 93, 266 <294>; l. Kammer des
Ersten Senats, NJW 2000, S. 1859 <1860>.
32
aa) Durch die ausschließliche Einordnung der Äußerung als Wertung wird den
Beschwerdeführern der Beweis der Wahrheit abgeschnitten, deren Vorliegen bei
Tatsachenäußerungen die rechtliche Einordnung maßgebend beeinflusst.. Wahre
Äußerungen sind grundsätzlich auch dann hinzunehmen, wenn sie für den Betroffenen
nachteilig sind. Dies gilt jedenfalls dann, wenn sie nicht die Intim-, Privat-
oder Vertraulichkeitssphäre, sondern die Sozialsphäre betreffen (vgl. BVerfGE
80, 367 <373 f.>; 99, 185 <196 f.>; 3. Kammer des Ersten Senats, NJW 1997,
2669; l. Kammer des Ersten Senats, NJW 2000, S. 1859 <1860>; S. 2191; S. 2413
<2415>). Das streitige Geschehen fiel in das den beteiligten Schülern und
Erziehungsberechtigten offen stehende berufliche Umfeld und damit in die Sozialsphäre
des Klägers, also in einen Bereich, in dem die persönliche Entfaltung sich
von vornherein im Kontakt mit der Umwelt vollzieht. Die Schule erwartet von
Eltern - wie Art. 6 Abs. 2 GG belegt -, besonders aber auch von einer Elternsprecherin,
dass sie sich in diesem Bereich Urteile bilden und sich für die Beseitigung
von angenommenen Missständen einsetzen. Dabei ist es nicht von vornherein
ausgeschlossen, in die Öffentlichkeit zu gehen, insbesondere wenn interne
Lösungsversuche nicht zum Erfolg fuhren.
33
Äußerungen zu der Sozialsphäre des Klägers dürfen nur im Fall schwerwiegender
Auswirkungen auf das Persönlichkeitsrecht mit negativen Sanktionen verknüpft
werden, etwa bei Stigmatisierung oder sozialer Ausgrenzung sowie bei Eintreten
einer Prangerwirkung
(vgl. BVerfGE 35, 202 <234 f.>; 97, 391 <406>; l. Kammer des Ersten Senats,
NJW 2000, S. 2413 <2414>). Dies gilt auch für absehbare schwere gesundheitliche
Folgen. Voraussetzung einer Haftung ist aber auch dann, dass eine Abwägung
mit der Meinungsfreiheit deren Zurücktreten ergibt.
34
bb) In die Abwägung müssen alle gewichtige Umstände einbezogen werden, auch
solche, die sich zugunsten der Beschwerdeführer auswirken können. Die in dem
Anwaltsschreiben erhobenen Vorwürfe waren am 17. Oktober 1991 nicht nur im
dienstlichen Bereich des Klägers, sondern auch in der schulischen Umgebung
bekannt. Sie hatten mit der Entfernung des Klägers aus der Klasse der Kinder
der Beschwerdeführer sichtbare Konsequenzen gehabt, die allerdings das Anliegen,
die Versetzung des Lehrers in eine andere Schule, noch nicht voll erfüllten.
Von Bedeutung bei einer Abwägung ist auch, dass in dem Zeitungsartikel zwar
die Schule, nicht aber der Kläger mit vollem Namen erschien. Es wäre zu klären
gewesen, welcher zusätzliche Nachteil für das Persönlichkeitsrecht des Klägers
gerade mit der an das Anwaltsschreiben anknüpfenden Presseveröffentlichung
vom 17. Oktober 1991 verbunden war und welches Gewicht der in der Weitergabe
des Schreibens liegende Eingriffhatte. Stattdessen wird den Beschwerdeführern
abweichend vom Lösungsansatz des Urteils zu b) sogar die vorherige Berichterstattung
in der Zeitung "Flensborg Avis" zugerechnet.
35
cc) Im Zuge der Abwägung ist auch von Bedeutung, ob die Beschwerdeführer die
nach den Umständen erwartbare Sorgfalt eingehalten haben. Auch die Möglichkeit
dieses Nachweises wird den Beschwerdeführern durch Verkennung des Tatsachencharakters
genommen. Abgeschnitten wird ebenfalls die Prüfung, ob die Beschwerdeführer
als Informanten der Presse in einer Situation haften, in der die Presse selbst
möglicherweise von Haftung frei ist.
36
Über die Vorgänge war die Öffentlichkeit schon informiert, allerdings noch
nicht mit allen erheblichen Details. Bei dem Zeitungsbericht handelte es sich
um einen Beitrag zu einer die lokale Öffentlichkeit wesentlich berührenden
Frage. Es ging um das Erziehungsverhalten eines Lehrers in der Schule, insbesondere
um seine Einstellung und sein Verhalten gegenüber Ausländern. In solchen Angelegenheiten
spricht eine Vermutung für die Zulässigkeit der freien Rede
(vgl. BVerfGE 66, 116 <150>; 68, 226 <232». Kritik, auch wenn sie in überspitzter
Form geäußert wird, ist hier eher hinzunehmen als in anderen Bereichen
(vgl. BVerfGE 60, 234 <241>; BVerfG, 3. Kammer des Ersten Senats, NJW 1991,
S. 3023 <3025>).
37
d) Feststellungen und Abwägungen zu diesen Punkten sind infolge der unzutreffenden
Einordnung als Schmähkritik unterblieben. Das angegriffene Urteil beruht auf
diesen Mängeln. Bei verfassungsrechtlich zutreffender Einordnung der Äußerungen
und der Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit und dem Persönlichkeitsrecht
des Klägers besteht die nicht fern liegende Möglichkeit einer Klagabweisung.
38
3. Die vorstehenden Erwägungen gelten auch für das Urteil zu c). Da die nicht
mit einer näheren Begründung versehene Entscheidung des Bundesgerichtshofs
möglicherweise auf denselben Erwägungen beruht wie das Berufungsurteil, verletzt
auch sie die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht aus Art. 5 Abs. l Satz l
GG. Die Grundrechtsverletzung ist gemäss § 95 Abs. l Satz l BVerfGG festzustellen.
Darüber hinaus wird das Urteil zu b) gemäß § 95 Abs. 2 BVerfGG aufgehoben
und die Sache zur erneuten Verhandlung an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
Damit wird der Beschluss zu a) gegenstandslos.
39
4. Demgegenüber verstoßen die angegriffenen Entscheidungen nicht gegen Art.
14 GG. Diese Grundrechtsnorm schützt nicht vor der Auferlegung von Pflichten
zu Zahlungen, die aus dem eigenen Vermögen zu erbringen sind.
40
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 34 a BVerfGG. Soweit die Verfassungsbeschwerden
nicht zu Entscheidung angenommen worden sind, ist wegen ihrer verhältnismäßig
geringen wirtschaftlichen Bedeutung keine Kostenquote auszuwerfen. Die Anträge
auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe erledigen sich mit dem Ausspruch über
die Kostenerstattung. Die Festsetzung des Gegenstandswerts für die anwaltliche
Tätigkeit folgt aus §113 Abs. 2 Satz 3 BRAGO.
41
6. Ein dringender Anlass, im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 32 Abs.
l BVerfGG über die Fortsetzung der Zwangsvollstreckung zu befinden, besteht
nicht. Nach dem Grundsatz der Subsidiarität müssen die Beschwerdeführer vorrangig
die Möglichkeiten des zivilprozessualen Vollstreckungsschutzes ausschöpfen.
42
Diese Entscheidung ist unanfechtbar. Papier, Steiner, Hoffmann-Riem.
Redaktioneller
Hinweis:
Diese Textwiedergabe dient der unverbinlichen Information und ersetzt nicht
die verbindlichen Aussagen der amtlichen bzw. offiziellen Verlautbarungen.
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